Der Frais-Brief – Magie, Glaube und Volkskultur

In den abgelegenen Dörfern der Alpen, wo die Grenzen zwischen kirchlichem Glauben, volkstümlicher Magie und Alltag oft fließend waren, entstanden im Laufe des 17. bis 19. Jahrhunderts einzigartige Artefakte der Volksfrömmigkeit: die sogenannten "Frais-Briefe". Diese Schutz- und Segensbriefe dienten nicht nur als spirituelle Versicherung, sondern auch als Ausdruck eines tief verwurzelten Weltbildes, das Heil und Unheil als kräftige Gegenpole verstand. Die Erforschung dieser Objekte, die im Spannungsfeld zwischen Volkskunst, Religion und Aberglauben stehen, bietet tiefe Einblicke in die Alltagskultur des historischen Alpenraums.
Der Frais-Brief und seine volkstümliche Bedeutung
Der Begriff "Frais-Brief" leitet sich vermutlich vom mittelhochdeutschen "vrâge" (Bitte, Gebet) oder französischen "fraise" (Umrandung, Verzierung) ab, wobei die genaue etymologische Herkunft ungeklärt bleibt. Gemeint ist in jedem Fall ein amulettartiger Text, der durch seine symbolische Sprache, formelhafte Strukturen und religiöse Motive Schutz gegen das Böse bieten sollte. Im Gegensatz zu handgeschriebenen Benediktions- oder Exorzismusformeln handelte es sich beim Frais-Brief meist um gedruckte, teils kolorierte Einblattdrucke.
Frais-Briefe wurden oft auf Büttenpapier oder einfachem Druckpapier gefertigt und nicht selten mit handkolorierten Szenen, religiösen Symbolen (z. B. Christusmonogramm, Heilig-Geist-Taube, das Herz Jesu) und apotropäischen Zeichen versehen. Ihre Größe reichte von kleinen Taschenformaten bis hin zu großformatigen Wandanhängern. Verbreitet waren sie vor allem in Tirol, Salzburg, der Steiermark, aber auch in Bayern und Südtirol. In vielen Stuben hingen sie neben Haussegen und Andachtsbildern oder wurden in Truhen und Betten als Schutz gegen Krankheit, Hexerei und Unglück aufbewahrt.
Gebete, Symbole und spirituelle Botschaften
Der Inhalt eines Frais-Briefs war in der Regel eine Kombination aus Gebet, Segensformel, Heiligenanrufung und magischen Symbolen. Besonders häufig findet man Segenssprüche, die sich auf die Passion Christi beziehen, den Erzengel Michael als himmlischen Kämpfer gegen das Böse oder Maria als Fürsprecherin. Manchmal wurden auch biblische Szenen zitiert, deren Betrachtung allein – so der Glaube – schützende Wirkung entfalten sollte.
Ein Beispiel aus einem erhaltenen Exemplar im Volkskundemuseum Salzburg: „Wer dieses Blatt bei sich trägt, den wird keine Pest, kein Blitz, kein Feind noch Zauberhand berühren, solange er sich unter dem Mantel Mariens weiß.“ Die Texte enthielten oft auch Aufforderungen zur täglichen Andacht oder bestimmten Gebetspraktiken, die an den Gebrauch des Briefes gekoppelt waren.
So ein Kind oder alter Mensch die Frais hat
Frais-Briefe kamen besonders häufig bei Neugeborenen, Kleinkindern und Kranken zum Einsatz – jenen Gruppen also, die als besonders gefährdet galten. Bei Kindern wurden die Briefe gefaltet und in das Bett oder die Wiege gelegt, mitunter auch am Körper getragen – etwa eingenäht in ein Stoffsäckchen, das um den Hals hing. In Tirol finden sich Berichte, wonach Hebammen den Frais-Brief unter das Kopfkissen legten, um das Neugeborene vor dem sogenannten „Gedrecktwerden“ – einer Form des Volksglaubens über plötzliche Kindstode durch böse Kräfte – zu schützen.
Bei Kranken wurden Frais-Briefe oft in der Nähe des Bettes befestigt, unter das Kopfkissen gelegt oder in einer Tasche bei sich getragen. In der Forschung findet sich dazu eine Beschreibung bei Lenz Kriss-Rettenbeck: „Im bäuerlichen Haushalt galt der Frais-Brief als geistige Arznei – er wurde wie ein stiller Beistand über die Brust des Fiebernden gelegt, während man das Vaterunser sprach.“ (Kriss-Rettenbeck, 1963, S. 184).
Die symbolische Kraft des Frais-Briefs: Schutz, Hoffnung und Heilung
Die zentrale Funktion des Frais-Briefs war der Schutz: gegen Blitzschlag, Viehseuchen, Kinderkrankheiten, aber auch gegen „Verhexung“ und das sogenannte „Übertragen des Übels“. Besonders für werdende Mütter, Kleinkinder und das Vieh galten sie als segensbringende Objekte. Manchmal enthielten sie neben lateinischen und deutschen Gebeten auch geheimnisvolle Zeichen, magische Quadrate oder Zahlenfolgen, die in engem Zusammenhang mit der volkstümlichen Esoterik standen. In ihrer hybriden Form zwischen christlicher Frömmigkeit und magischer Handlung dokumentieren sie einen tiefen Glauben an eine Welt voller unsichtbarer Bedrohungen und die Hoffnung auf Überwindung durch göttliche Hilfe.
Einblick in volkskundliche Studien und Forschung
Frais-Briefe sind seit dem späten 19. Jahrhundert Gegenstand volkskundlicher Sammlungen. Im Volkskundemuseum Wien, im Joanneum Graz sowie im Tiroler Volkskunstmuseum Innsbruck befinden sich heute zahlreiche, teils einzigartig erhaltene Exemplare. Autoren wie Lenz Kriss-Rettenbeck und Helmuth Nemec haben die ikonografischen und sprachlichen Muster dieser Texte analysiert und dabei ihre Rolle als "religiöse Schutzmittel im volkstümlichen Kontext" (Nemec, 1975) hervorgehoben. Auch Josef Bartelt und Peter Weninger untersuchten den Zusammenhang solcher Objekte mit magischem Denken und kirchlich geduldeter Frömmigkeit. Kriss-Rettenbeck verweist auf die „vielschichtige Glaubensstruktur“, in der kirchlich überlieferte Elemente mit magisch-protektiven Mitteln verschmolzen: „Es war nicht nur der Glaube an Worte, sondern an deren sichtbare Manifestation auf dem Papier – das heilige Zeichen, das Bösem Einhalt gebietet.“ (Kriss-Rettenbeck, 1963, S. 190).
Warum der Frais-Brief bis heute fasziniert
Der Frais-Brief ist mehr als nur ein bedrucktes Blatt Papier: Er ist Ausdruck einer Welt, in der das Geistige das Sichtbare durchdringt. In seiner Gestaltung und Funktion verbindet er Elementares des Menschlichen – Angst, Hoffnung, Glaube – mit den Mitteln einer volkstümlich gelebten Spiritualität. Seine Erforschung offenbart nicht nur viel über frühere Vorstellungen von Krankheit, Schutz und Heil, sondern auch über das kreative Spannungsfeld zwischen kirchlicher Lehre und lebendiger Volkskultur.
Weitere Segensbriefe der Volkskultur
Der Frais-Brief war kein Einzelfall. In der reichen Welt der alpenländischen Volksfrömmigkeit finden sich zahlreiche verwandte Formen von Schutz- und Segensbriefen. Dazu gehören:
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Der Tobias-Segen: Besonders beliebt für Reisende und Pilger, mit Verweis auf den Schutz durch den Erzengel Raphael.
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Der Diebs-Segen: Zum Schutz von Haus und Stall vor Einbruch und Diebstahl – oft in Verbindung mit Benediktus-Medaillons.
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Der Feuer-Segen: Gegen Hausbrände, Blitzschlag und Feuersbrunst – mit Anrufungen des Heiligen Florian.
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Der Wetter-Segen: Gedruckte Gebete zur Abwehr von Hagel, Sturm und Unwetter, vielfach mit regionalen Heiligen wie Donatus oder Johannes Nepomuk.
Diese besonderen Formen der schriftlich fixierten Frömmigkeit werden in kommenden Artikeln detaillierter vorgestellt.
Quellenhinweise
- Volkskundemuseum Wien: Sammlung religiöser Volksdrucke
- Universalmuseum Joanneum: Inventar volksmagischer Objekte
- Nemec, Helmut: "Religiöser Volksglaube im Wandel", Wien 1975
- Kriss-Rettenbeck, Lenz: "Volksfrömmigkeit im Alpenraum", München 1963
- Weninger, Peter: "Amulette und Schutzzauber in Österreich", Salzburg 1981
- Bartelt, Josef: "Gedruckter Glaube. Segensbriefe und Haussegen", Innsbruck 1990
- Tiroler Volkskunstmuseum Innsbruck: Sammlung Sakrales Brauchtum
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